Mittwoch, 20. August 2014

Ägypten: Regimetausch






Inamo Heft Nr. 73  -  Ägypten: Regimetausch


Ägypten: Regimetausch
Die ägyptische Verfassung
Von Anja Schoeller-Schletter
Die neue, post-revolutionäre ägyptische Verfassung entstand im Kontext eines heftigen politischen Machtkampfes. Auf der einen Seite standen die ‚Islamisten‘, auf der anderen sammelten sich alle anderen politischen Gruppierungen, Liberale, Linke, Nasseristen und Anhänger des alten Regimes. Mit dem Preis einer tiefen gesellschaftlich-politischen Spaltung wurde der von der Opposition heftig kritisierte Verfassungsentwurf im Dezember 2012 in einem Referendum mit 63,4% Ja-Stimmen (bei einer Wahlbeteiligung von 32,9%) angenommen und damit in Kraft gesetzt. Der politische Machtkampf, der sich in erster Linie am Verfahren der Bestimmung der Mitglieder und der Zusammensetzung der Verfassunggebenden Versammlung entzündete, hatte lange Zeit den Blick auf die Verfassung selbst weitgehend verstellt. Der folgende Beitrag setzt sich mit den tatsächlichen Inhalten des Dokuments auseinander und identifiziert erste Tendenzen der Verfassungskonkretisierung.

Ägypten: Und täglich ruft die Wahlurne
Von Florian Kohstall
Würde man den Transformationsprozess in Ägypten danach bewerten, wie oft die Bürger seit dem Sturz Mubaraks an die Urnen gerufen wurden, fiele die Bilanz sicherlich positiv aus. Innerhalb von zwei Jahren organisierten der von Februar 2011 bis Juni 2012 regierende Oberste Militärrat und der seither regierende Staatspräsident Mohammed Mursi insgesamt fünf Wahlgänge: Zwei Volksreferenden, eine Präsidentenwahl und die vier Monate lang andauernden Wahlen des Unter- und Oberhauses. Im Februar 2013 kündete Präsident Mursi bereits den nächsten Wahlmarathon an.

Ägyptens Wirtschaft: Keine Rettung in Sicht?
Amr Adly
Die ägyptische Revolution ereignete sich nicht im luftleeren Raum, sondern vor dem Hintergrund der schwersten wirtschaftlichen Krise seit den späten Achtziger Jahren, die durch die Wirren nach dem Sturz Mubaraks noch verschärft wurde. Um der Not zu entkommen, setzt die Regierung auf einen IWF-Kredit, über den seit zwei Jahren verhandelt wird. Doch dieser würde den endgültigen Zusammenbruch der ägyptischen Wirtschaft nur aufschieben. Außerdem birgt er die Gefahr, dass das Land zusätzlich in den Teufelskreis der Verschuldung gerät. Dringend erforderlich sind daher maßgeschneiderte Lösungen und ein gesellschaftlicher Konsens zu ihrer Durchsetzung. Die Regierung hat sich aber als unfähig erwiesen, über den Status quo hinauszudenken und auch nur minimale Kursänderungen zu veranlassen. Die Opposition wiederum steht ihr an Planlosigkeit in nichts nach und scheint angesichts der kommenden Wahlen nur darauf zu hoffen, dass ihre Gegner an den schier unüberwindlichen Schwierigkeiten scheitern.

Arbeiter, Gewerkschaften und Ägyptens politische Zukunft
von Joel Beinin
Im Jahrzehnt vor dem Aufstand gegen die Herrschaft von Husni Mubarak gab es die ausgedehnteste Streikwelle, die Ägypten seit 1952 erlebt hatte. Die Streiks fanden in einer Zeit statt, als durchschnittliche ägyptische Haushalte in großer wirtschaftlicher Not waren, da die Löhne vor dem Hintergrund der beschleunigten neoliberalen Wirtschaftspolitik des Mubarak-Regimes nicht mit den steigenden Lebenshaltungskosten Schritt halten konnten. Da „Brot“ und „soziale Gerechtigkeit“ bei den Aufständen die zwei grundlegenden Forderungen waren, neben „Freiheit“, erwarteten viele Ägypter, dass Mubaraks Sturz und die demokratische Wahl eines neuen Präsidenten ihre wirtschaftliche Not etwas lindern würden.  Den Aktivitäten der Arbeiterschaft nach zu urteilen wurden die Erwartungen jedoch enttäuscht. Tatsächlich hat die Streikwelle gerade wieder einen Höhepunkt erreicht, mit 1400  Arbeitsniederlegungen und weiteren Arbeiterprotesten im Jahr 2011 und noch einmal mehr im Folgejahr.

Shabab al-thaura: Die symbolische Macht der ägyptischen Revolutionsjugend
Von Sarah Wessel
Während vor der „25. Januar Revolution“ die Jugend überwiegend als passiv und unpolitisch angesehen wurde und in der Regel nur im Kontext eines massiven demographischen Entwicklungsproblems rezipiert wurde, wendete sich dieses Bild nach den Umbrüchen um 180 Grad: Die shabab al-thaura, die ägyptische Revolutionsjugend, gilt als diejenige Gruppe, die die Revolution initiiert und durchgesetzt hat. Der Ausdruck shabab al-thaura steht seitdem für eine politisch aktive und selbstbestimmte Bevölkerungsgruppe, die offenbar keine Differenzierung nach sozialen oder ökonomischen Kriterien kennt.

Frauenschwestern und Muslimbrüder: Parallelen
Von Gihan Abou Zeid
Die Schwindelerregenden Wahlsiege der Muslimbrüder und Salafisten haben der ägyptischen Frauenrechtsbewegung eine bittere Lektion erteilt. Verwundert reibt sie sich die Augen und muss sich eingestehen, dass es dem politischen Islam gelungen ist, überall in der ägyptischen Gesellschaft Wurzeln zu schlagen. Vor allem verfügt er in der Masse der Bedürftigen über eine solide Basis, während ihr selbst der Boden unter den Füßen zu entgleiten droht. Sie braucht daher dringen eine neue Strategie und sie braucht neue Methoden. Es reicht nicht aus, alle Jahre zum Weltfrauentag ein paar Seminare, Filmvorführungen und Ausstellungen zu veranstalten, auch wenn sie eine noch so gute Presse finden. Die Frauenbewegung muss aus ihrem Elfenbeinturm heraus und mit ihrer Arbeit ebenfalls ganz unten beginnen, auch wenn ihre Mittel und Möglichkeiten im Vergleich zu den Religiös-Konservativen zunächst begrenzt erscheint.

Mursi auf Reisen: Alte Seilschaften, neue Netzwerke

Von Thomas Demmelhuber
Mit Amtsantritt im Sommer 2012 verkündete der ägyptische Präsident Mursi nicht nur ein ehrgeiziges innenpolitisches Programm. Er kündigte auch eine selbstbewusste außenpolitische Neupositionierung des Landes an. Eine erste Bilanz der Außenpolitik unter Mursi fällt aber ernüchternd aus: Die Präsidentschaft Mursi verfügt derzeit nicht über die Kapazitäten für eine Formulierung einer proaktiven Außenpolitik. Jenseits symbolischer Gesten sind es die realpolitischen Zwänge der Regierung in Kairo, welche derzeit wenig Spielraum für eine „Außenpolitik der Optionen“ jenseits der traditionellen Pfeiler ägyptischer Außenpolitik, bieten.


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